PG Vorspessart
In der Karwoche, die mit dem Palmsonntag begonnen hat, pflegen wir in Kirchenraum und Liturgie besondere Traditionen. Pfarrer Uwe Schüller spürt der darin enthaltenen christlichen Symbolik in seinem Artikel „Aufgefrischt“ nach.

Jedes Jahr freue ich mich auf die beginnende Fastenzeit. Zum einen wegen der Vorbereitung auf das große Fest Ostern, aber auch wegen der Stille, der Einfachheit, teilweise auch des Verzichtens und des bewusst „auf dem Weg sein“.

Für mich haben unsere Kirchen in der beginnenden Fastenzeit etwas Besonderes. Es beginnt ab dem Aschermittwoch ein sichtbarer und in den Gottesdiensten ein hörbarer Weg. Dann werden in vielen unserer Kirchen die Altarbilder verhüllt oder es werden Fastentücher aufgehängt, auf Blumenschmuck wird bewusst verzichtet, das Gloria und vor allem das Halleluja werden in dieser Zeit weder gesungen noch gesprochen.

 vergrößernEichenberger Fastentuch in der St. Wendelinuskirche Martin Mahlmeister

Das Fastentuch, auch Fastenvelum, Hungertuch, Palmtuch, Passionstuch oder Schmachtlappen genannt, hat in unserer Kirche eine lange Tradition. Bereits im 9. Jahrhundert haben solche Tücher mit Darstellungen der Passions- und Leidensgeschichte Christi, der Heilsgeschichte (Schöpfung bis zum Weltende) oder Tier- und Pflanzenabbildungen den Altar und die Bilder verhüllt. Teilweise haben solche Tücher riesige Dimensionen angenommen, so dass der ganze Chor- und Altarraum verdeckt und dem Blick der Gläubigen entzogen war.

Die Ursprünge dieser Fastentücher liegen wahrscheinlich im jüdischen Tempelvorhang verborgen, der das Allerheiligste vom Profanen, Alltäglichen abtrennte. Der im Zusammenhang mit der Passion Jesu mehrfach erwähnte Tempelvorhang „zerriss“ förmlich erst zum Todeszeitpunkt Jesu am Kreuz und gab den Blick unverhüllt auf das Allerheiligste frei. Symbolisch soll dargestellt werden, dass durch Jesu Erlösungstod das Trennende aufgehoben wurde.

Eine andere Erklärung sagt, dass nicht nur der Leib, sondern auch andere Sinne, wie das Gehör oder eben die Augen „fasten“ sollen. Und wir kennen das aus unserem Alltag, wenn wir die Oster- oder Weihnachtsdekoration nach einer gewissen Zeit „nicht mehr sehen können“, räumen wir sie weg, um sie später wieder mit neuen Augen zu schätzen. So ähnlich kann man sich auch die Handhabung der Tücher vorstellen, die etwas dem Blick für eine Zeit entziehen. Nach einer gewissen Zeit erstrahlt ein Bild oder eine Darstellung, die dem Blick entzogen waren, wieder in „neuem“ Glanz und in neuer Schönheit.

 vergrößernFastentuch im Freiburger Münster von 1612 - Kreuzigung Archiv

Ab dem Passionssonntag erfährt der Kirchenraum nochmals eine Steigerung. Am 5. Fastensonntag werden zusätzlich noch die Kreuze verhüllt. Diese Tradition kommt wahrscheinlich aus der Zeit der Romanik, als die Kreuzesdarstellungen nicht einen leidenden Christus gezeigt haben, sondern einen lebenden Herrscher und König, mit Krone und königlichem Gewand.

In der Karfreitagsliturgie wurde und wird das Kreuz wieder enthüllt, wurde und wird gezeigt und verehrt. Dann herrschte Christus wieder sichtbar für alle als lebendiger König vom Kreuzesthron herab. Der heilige Franz von Assisi und die franziskanische Bewegung haben mehr die Darstellungen des leidenden und mitleidenden Christus, der für die Menschen gelitten hat und am Kreuz gestorben ist, in den Mittelpunkt der Frömmigkeitsübungen gerückt. Interessanterweise ist es auch deshalb ein Vorrecht der franziskanischen Orden z. B. Kreuzwegstationen einzuweihen.

Auch wenn die Darstellungen des herrschenden, königlichen Christus am Kreuz nicht mehr so bekannt und verbreitet sind, die Tradition der Verhüllung der Kreuze blieb bis heute erhalten und wird weiter gepflegt.

Der Höhepunkt der Fastenzeit und eine weitere Zuspitzung auf den Weg hin zu Ostern sind wohl das Wegfallen des Orgelspiels ab dem Gloria in der Abendmahlsmesse am Gründonnerstag und das Verstummen der Glocken. Alles hüllt sich in Schweigen. Die Gesänge sind dumpf, traurig und klingen melancholisch. Alles versinkt in tiefer Trauer bis zum Gloria der Osternacht, dann erstrahlt plötzlich alles im Licht und in der Freude der Auferstehung. Die Kirche ist festlich geschmückt, die Fahnen zeigen den Sieg des Lebens an, die Glocken läuten wieder, die Orgel spielt und das Halleluja wird zum ersten Mal wieder feierlich gesungen. Theatrum sacrum, heiliges Theater, heiliges Spiel, kann man diese Feier nennen. Jedes Mal ergreifend und mitreißend, erfreuend und schön.

 

 

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